Florian Scheel wohlbehalten von Rotkreuz-Einsatz in der Ukraine zurück
Er organisierte Hilfstransporte und bildete einheimische Helfer:innen aus, kümmerte sich um die Bergung von Kranken und Verwundeten, stand Sterbenden bei, hörte zum Teil erschütternde Schilderungen von Angehörigen und geriet dabei zeitweise selbst unter Beschuss: Der 23-jährige Jurastudent Florian Scheel aus Werther, ausgebildeter Rettungssanitäter des DRK, befand sich im vergangenen Jahr über mehrere Monate hinweg in einem Hilfseinsatz in Moldawien und der Ukraine. Vom Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes entsandt, leistete Scheel vor Ort humanitäre Hilfe unter dem Dach des IKRK (Internationales Komitee des Roten Kreuzes).
Was bringt einen jungen Menschen dazu, Heimat, Freunde und Familie zurückzulassen, um als humanitärer Helfer unter Gefahr für Leib und Leben in ein Kriegsgebiet zu reisen? Wie so oft im Leben war es auch bei Florian Scheel eine Reihe von Zufällen. Im Jahr 2019, mitten im Studium, spricht der daheim in der Jugendarbeit der freikirchlichen Adventgemeinde engagierte Wertheraner mit einer Kommilitonin beim Mittagessen über die Möglichkeit einer Ausbildung zum Rettungssanitäter. Scheel findet Gefallen an dem Gedanken, investiert 2.000 Euro und lässt sich in drei Monaten zum Rettungssanitäter ausbilden. Danach heuert er beim DRK-Ortsverein Ravensberg an, leistet in seiner Freizeit ehrenamtliche Sanitätsdienste und sammelt beim Kreis Gütersloh als Werksstudent und Fahrer eines Rettungsfahrzeugs wertvolle Erfahrungen.
Als Anfang 2022 – nach dem Ende seines Jura-Grundstudiums – keine Vorlesungen mehr anstehen und Putin-Russland auf breiter Front in die Ukraine eindringt, wird Scheel ganz unruhig. „Man muss doch was tun“, schießt es ihm durch den Kopf. Scheel nimmt Kontakt zum Generalsekretariat des DRK auf, erklärt seine Bereitschaft zu einem humanitären Auslandseinsatz und lässt sich als so genannter Surge Roaster registrieren. Um die Wartezeit auf einen Einsatz zu überbrücken, reist er zusammen mit anderen Mitgliedern seiner Kirchengemeinde in ein Flüchtlingslager an der slowakisch-ukrainischen Grenze. Hier kümmert er sich vorrangig um Kinder, die unter den winterlichen Wetterbedingungen leiden und vor allem mit Erkältungskrankheiten zu kämpfen haben. „Die Perspektivlosigkeit der dort untergekommenen Menschen, meist Frauen mit ihren Kindern und deren Großeltern, hat mir richtig wehgetan“, sagt Scheel im Nachhinein.
Nach drei Wochen wieder zurück in Ostwestfalen sitzt Scheel in der Uni-Mensa, um sich mit Kommilitonen auf sein Examen vorzubereiten. Da erreicht ihn eine E-Mail aus Berlin. Das Generalsekretariat des DRK sucht freiwillige Helfer – Rettungs- und Notfallsanitäter sowie Lkw-Fahrer – für den Aufbau eines Ambulanzprogramms in Moldawien und der Ukraine. „Das war an einem Donnerstag“, erinnert sich Scheel. Bereits am nachfolgenden Sonntag reist er zum Flughafen Düsseldorf. Am frühen Montagmorgen sitzt Scheel dann an Bord einer Maschine, die ihn in die moldawische Hauptstadt Chișinău bringt.
Hier kümmert sich Scheel um die Evakuierung und Versorgung von Menschen, die mit dem Vorrücken der russischen Truppen aus der Ostukraine flüchten mussten. Der Wertheraner ist Teil eines internationalen Teams, arbeitet eng mit Angehörigen der israelischen Davidstern-Partnerorganisation zusammen. Diese verfügen vielfach über russische Sprachkenntnisse und sind deshalb eine große Hilfe in der Kommunikation, die ansonsten komplett auf Englisch und Französisch geführt wird. Am Ende seines rund sechswöchigen Moldawien-Einsatzes trägt Scheel als „Delegierter“ Verantwortung für ein internationales Helfer:innenteam. Eine seiner Hauptaufgaben ist – Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ – die Rekrutierung eigener Kräfte aus der Ukraine. Scheel: „Wir haben zum Beispiel neben gut Englisch sprechenden IT’lern auch einen deutschsprechenden Trampolinspringer vom Zirkus ‚FlicFlac‘ zum Rettungssanitäter ausgebildet.“
Ein zweiter Einsatz führt Scheel an der Spitze eines achtköpfigen Teams mit Angehörigen aus fünf Nationen in die Nähe der seit Monaten hartumkämpften Stadt Bachmut in den Donbass/Ost-Ukraine. Basisstation hier ist ein verlassenes Hotel zehn Kilometer hinter der Frontlinie. Die Aufgabe des IKRK-Teams besteht darin, kranke und verwundete Menschen – vorranging Zivilpersonen – aus den umkämpften Gebieten zu bergen, um sie über eine Umschlagstation an einem Bahnhof in Krankenhäuser im sicheren Hinterland zu transportieren. Der Krieg ist dabei allgegenwärtig. Scheel, ausgestattet mit Schutzhelm und Zwölf-Kilogramm-Splitterschutzweste, ist ständigen Luftalarmen ausgesetzt. Er hört Artillerieeinschläge ganz in der Nähe und sieht Reste von Raketen und Geschossen sowie das Zerstörungswerk, das sie angerichtet haben. Scheel: „Ein Hilfsbus aus Deutschland, der völlig zerschossen am Straßenrand lag, ist mir noch gut in Erinnerung.“ Was ihn darüber hinaus schwer beeindruckt hat: „Die große Dankbarkeit der ukrainischen Zivilbevölkerung.“
Seinen dritten und bislang letzten Einsatz in der Ukraine absolviert Scheel als Leiter eines sechsköpfigen internationalen Rettungsteams in der ebenfalls hartumkämpften Stadt Mikolajew im Süden der Ukraine. In einem verlassenen Nagelstudio richtet er eine Rettungswache ein. Hier werden Verletzte medizinisch versorgt und ukrainische Rot-Kreuz-Angehörige zu Rettungssanitätern oder Spezialisten für die Bergung verschütteter Menschen ausgebildet. Auch Scheel selbst ist – oft bei Luftalarm - mit seinem als Hilfsfahrzeug gekennzeichneten Landcruiser unterwegs, um Menschenleben zu retten. Scheel: „Die Lage in Mikolajew war äußerst dynamisch. Die Situation konnte sich schlagartig von einem auf den anderen Moment ändern.“ Hat er bei den Einsätzen in Frontnähe und beim Anblick von Helikoptern und Militärjets am Himmel um sein Leben gefürchtet? Scheel: „Wir hatten uns schon in Moldawien schnell an die Gesamtsituation gewöhnt. Dennoch blieb – zum Beispiel bei Brückenüberquerungen – oft noch ein mulmiges Gefühl. Doch alles in allem haben wir uns wegen der Rotkreuzfahne an den Fahrzeugen relativ sicher gefühlt.“
Dass er seinen Hilfseinsatz im Kriegsgebiet möglicherweise nicht unbeschadet übersteht und im schlimmsten Falle sogar sein Leben verlieren kann – damit hat sich Florian Scheel zu Beginn seiner Hilfstätigkeit intensiv auseinander gesetzt. Durch das DRK-Führungs- und Lagezentrum hat er zudem professionelle psychologische Betreuung erfahren und am Ende des Einsatzes auch ein verpflichtendes Nachgespräch geführt. Was bei ihm ganz persönlich nach den fünf Monaten in der Ukraine bleibt? Florian Scheel: „Ich habe erfahren, wie zerbrechlich und endlich das Leben ist. Und mir ist noch mal klar geworden, wie gut wir es haben, dass wir hier in Frieden und Freiheit leben können.“
Ob er sich – wieder zu Hause im heimischen Werther – erneut auf ein solches Abenteuer einlassen würde? Florian Scheel muss nicht lange darüber nachdenken. „Auf jeden Fall“, lautet seine Antwort. Das Angebot des DRK-Generalsekretariats, im Katastrophengebiet von Malawi im Süden Afrikas in einen Einsatz zu gehen, hat er allerdings abgelehnt. Scheel hat um eine Pause bis September gebeten. Jetzt soll erst mal seine Freundin zu ihrem Recht kommen. Und dann ist da ja auch noch sein Jura-Studium und das anstehende Referendariat. Wohin die berufliche Reise am Ende gehen wird, ist noch nicht ganz entschieden. Das Strafrecht hat es Florian Scheel besonders angetan. „Staatsanwaltschaft -“, sagt er, „das ist, was mir wohl gefallen könnte.“